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Aufklärung oder ein faules Ei im Untergrund

Mein Mann erzählte mir einmal eine Geschichte „in einem Land vor unserer Zeit“, wo es im Kinderzimmer in seinem Haus fürchterlich gestunken habe. Die Ursache konnte auch nach intensiver Suche nicht gefunden werden und so ließ es sich nicht verhindern, den gesamten Kinderzimmerboden herauszureißen, um die Ursache – ein verfaultes Ei – zu finden und zu entfernen.

Ich weiß nicht, wie du aufgewachsen bist, wurden in Deiner Familie schwierige Themen offen angesprochen oder ist auch in deiner Familiengeschichte irgendwo und unter irgendeinem Laminatboden ein faules Ei abhandengekommen? Ich denke, gerade in der Nachkriegsgeneration, zu der wir ja alle gehören, hat das Verheimlichen, um keine Probleme zu bekommen, vielfach Einzug gehalten und Konflikte schwelen oft irgendwo vor sich hin, anstatt sie offen anzusprechen. Oft sprechen wir über den Teppich, unter den schon vieles gekehrt wurde oder das Pflaster über der eitrigen Wunde oder dem Spieß, der noch immer im Fleisch steckt.

Alles, was vor sich hin stinkt und schwelt, macht krank. Es entzieht uns Lebensenergie und macht uns für aktuelle Geschehnisse unbrauchbar, weil wir im Inneren ein unsichtbares Gummiband an uns hängen haben, welches uns in den unmöglichsten Situationen immer daran erinnert, dass da etwas ist. Wir kommen vor uns selbst nicht davon. Wir können uns und andere tarnen und täuschen, einen Lebensstil vorgeben, der zugegebenermaßen von außen gut aussehen mag, aber innerlich kommen wir vor diesem maroden Geruch einfach nicht davon. Was kannst du nun also dagegen unternehmen.

Ein gängiges Muster damit umzugehen, ist, über andere Lügen zu verbreiten und sich selber besser darzustellen. Hast du so etwas auch schon erlebt? Hast du erlebt, dass du plötzlich Dinge über dich erfahren hast, die du selbst noch nicht wusstest? Menschen, die in ihrem Inneren so tief erschüttert und verletzt sind, dass sie sich damit nicht auseinandersetzen können oder wollen, lenken dadurch von ihrem eigenen Schmerz ab. Sie lassen sich viel einfallen, um dir zu schaden, denn dann sind ja alle Augen auf dich gerichtet und man lässt sie in Ruhe. Ich weiß nicht, ob Du den Begriff „Narzissmus“ schon gehört hast. Diese Menschen haben ein sehr geringes Selbstwertgefühl, jedoch große Selbstzweifel und machen anderen das Leben zur Hölle. Durch die gezielte Abwertung von anderen heben sie sich dadurch nach oben und ihr eigener Schmerz wird kleiner. Die Dramatik, welche Narzissten in das Leben anderer Menschen bringen, ist unglaublich. Narzissten glauben, dass ihr Leben perfekt ist, dass sie perfekt sind und von aller Welt geliebt werden MÜSSEN, doch wenn sie jemand mit der knallharten Realität konfrontiert, dann mutiert diese Person leicht zum Feind. Sie stellen sich nicht ihrer Vergangenheit, ihrer inneren Muster und Trigger und stellen den anderen immer und immer wieder als schuldig und sich selbst als Opfer dar.

Doch was ist eine erwachsene und selbstreflektierte Art, mit dem Ei unter dem Boden umzugehen? Ich denke, es kommt auf die Schwere der Sache an. Manches Mal wird es vielleicht reichen, den Besen zu nehmen und den Schmutz zusammenzukehren. Und an anderen Stellen im Leben wird es nötig sein, den Boden aufzureißen wie in meiner kleinen Eingangsgeschichte heute.

Unser altes Haus ist besonders – es hat Geschichte und aus diesem Grund haben wir es auch gekauft. Aber auch hier wurde uns etwas verkauft, wo die Mängel erst auf den zweiten Blick sichtbar waren. Der Verkäufer hatte versucht, die Feuchtigkeit unter Holzvertäfelungen und doppelten Böden zu verstecken. Ihr könnt Euch vorstellen, was passiert, wenn Feuchtigkeit auf Holz trifft. Hmmm – ganz genau, es schimmelt. Auf den ersten Blick ist es nicht erkennbar, was los ist. Auch in unserem alten Haus, waren wir im ersten Jahr damit beschäftigt, die gesamte Vertäfelung los zu werden und die alten aufgedoppelten Böden abzutragen, damit die Wände wieder atmen und trocknen können.

Ich sehe hier einen schönen Vergleich. Faule Eier, Schimmel, Lebenslügen und Verdrängtes nehmen uns auch immer die Luft zum Atmen. Und ich bekomme es nicht weg, in dem ich noch eine Schicht darüber anbringe. Um hier gesund zu werden oder das Haus oder mich selbst richtig zu behandeln, muss erst einmal alles raus!

Im übertragenen Sinne kann das heißen, ich finde Wege, mich auszudrücken. Ob das beim Schreiben, Komponieren, Trainieren, in der Therapie sprechen, Weinen oder Schreien ist, je nachdem wie groß der Schmerz oder die Ungerechtigkeit sind, die mir widerfahren sind, es muss zuerst einmal wirklich zu den Grundmauern vorgestoßen werden. Erst dann weiß ich um den derzeitigen Zustand meines Hauses – so oder so. Das benötigt Zeit und Kraft, denn auch in unserem Haus hat es seine Zeit gebraucht, all das ekelhafte Zeug nach draußen zu schaffen, zu verbrennen oder eben wegzubringen.

Ich liebe dieses Haus, weil es mir so viel zeigt über das Menschsein oder die Methoden, wo wir meinen, irgendetwas kaschieren zu können.

Ein weiteres Bild hat mich sehr gestärkt. Lange Zeit stand vor unserem Haus ein altes Autowrack. Es gibt in unserem Ort zweimal im Jahr eine Entrümpelung. Beim letzten Mal wurde unser Wrack abgeholt. Und auch wenn Therapie, Aufarbeiten, Entrümpeln anstrengend sind und Zeit erfordern, es kam bei mir und kommt auch bei dir die Zeit, wo das Wrack weg ist. Du musst nicht mehr daran vorbei, es erinnert dich nicht mehr an den Zerbruch oder hält dich in diesem Zustand gefangen. Es ist weg und dann beginnst du, dich neu auszurichten und neue Wege zu gehen.


Ich wünsche Dir heute oder zu jedem anderen Zeitpunkt, wo du merkst, dass etwas „stinkt“, den Mut, genau dort hinzugehen und alles abzutragen, was du oder jemand anders über diese Stelle gelegt haben. Erst dann kannst du dich und dein Leben so sehen, wie es wirklich ist. Ich wünsche Dir Güte, das, was du dort siehst anzusehen und anzunehmen und die Fenster deines Lebens zu öffnen und viel frische Luft einströmen zu lassen. Und dann wünsche ich dir für den Aufbau und die Veränderung ganz viel Geduld und Liebe für dich selbst




In diesem Sinne


Be a voice, not an echo!


Eure Katrin

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